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Präambel zum Essay „Mein Bruchsaler Schloss“
Dieser Essay, verfasst 2021 von Andreas Froncala, Berlin, beschreibt seine persönlichen Beziehung in der Vergangenheit und Gegenwart zum Schloss Bruchsal.
Eine kürzere Fassung dieses Essays ist 2021 in englischer Sprache erschienen unter dem Titel „PAST DREAMS REBUILT – THE HISTORY OF SCHLOSS BRUCHSAL IN GERMANY“ in Ausgabe SCALA REGIA #8 des Magazins SCALA REGIA.
Abstract by SCALA REGIA: „Like the palace itself, the past dreams of souls long gone have been rebuilt. The palace structure rebuilt after its bombing in WWII, and the past dreams of its builders rebuilt here on these pages through the words of Andreas Froncala. Amusingly, a third past dream is told here, through the remembrance of past experiences from the writer’s childhood lived nearby Schloss Bruchsal. Furthermore, the palace is an architectural gem hidden in the countryside of Germany, one that should ideally not be missed.“
Hinweis: eine weitere Beschreibung von Schloss Bruchsal finden Sie unter: Kurze Beschreibung von Schloss und Garten, verfasst von Pius Bieri.
Mein Bruchsaler Schloss
Es ist eine seltsame Sache, mit einem Denkmal in der Nähe aufzuwachsen. Es ist alltäglich und gewöhnlich, und doch gibt es immer wieder Momente, in denen man von seiner Schönheit ergriffen, ja überrannt wird. In meinem Fall ist es das Bruchsaler Schloss, mit dem ich diese eigenartige Beziehung pflege.
Blick vom Balkon des Torwachtgebäudes auf die drei Flügel;
Bauzeit des Hauptbaus, Kirchen- und Kammerflügels: 1722 bis 1732
Bruchsal an sich ist ein kleines badisches Städtchen und – die Bruchsaler mögen es mir verzeihen – nicht wirklich eine Schönheit. Der Südwesten Deutschlands ist reich an Denkmälern aller Art und an malerischen Fachwerkstädten sowieso und so verwundert es nicht, dass sich kaum ein Tourist nach Bruchsal verirrt und selbst Experten dieses Bauwerk nur aus der Literatur kennen.
Blick vom westlichen Portal auf die Schlossterrasse
Und so liegt das Schloss etwas verschlafen in der Stadt, eingebettet zwischen Gefängnis und Fußgängerzone, umzingelt von belangloser Nachkriegsarchitektur. Im täglichen Leben ist es eher ein Hindernis, ein Klotz in der Stadt, an dem man immer vorbei muss. Man vergisst dadurch schnell, welchen Schatz man da hat. Und so wartet das Schloss auf Besucher und wartet meist leider auch vergeblich.
Blick vom Ehrenhof auf die Ostfassade des Hauptbaus;
Bemalung der Fassade ursprünglich 1732/33 von Giovanni Francesco Marchini
Gefühlt war es während meiner Kindheit wegen Renovierungsarbeiten fast immer geschlossen. Manchmal hoben meine Eltern mich zum Trost hoch, damit ich durch die auf alt gemachten Fensterscheiben einen Blick ins Innere auf die verschwommene Pracht werfen konnte, und so wurde das Innere zum Spielplatz meiner Phantasie.
Blick von der südlichen Tür nach Norden in den Gartensaal;
Malereien ursprünglich erstellt 1736/37 von Giovanni Francesco Marchini,
restauriert 1982 bis 1986 von Alfred Panowsky und Klaus Siller
Ich ging unweit des Schlosses zur Schule, und manchmal im Sommer (in Bruchsal gab es damals nicht wirklich einen Ort für Teenager) trafen sich meine Freunde und ich im Schlosspark, wir saßen zusammen unter alten Bäumen und fanden keinen Grund, um nach Hause zu gehen. Es waren herrliche Nächte und die Morgendämmerung in einem barocken Garten hat ihre ganz eigene Magie.
Blick vom Gartenbalkon auf die nördliche Terrasse und den Garten
Mit dem Erwachsenwerden verließ ich die Gegend und erkunde seitdem die Welt. Je mehr ich schöne Bauwerke und Schlösser sehe, desto mehr schätze ich das heimatliche Bruchsal und seine Abgeschiedenheit. Man kann das Schloss auch spontan besuchen, muss nicht Monate im Voraus ein Ticket buchen, man steht nie gedrängt in der Schlage und trotzdem, was man zu sehen bekommt, ist einmalig. Es ist ein wahrer Geheimtipp.
Blick von der Schlossterrasse auf die Westfassade der Nördlichen Orangerie;
Bau 1725 fertiggestellt; Bemalung der Fassade ursprünglich 1732 von Giovanni Francesco Marchini, restauriert 1900 bis 1910 von Josef Mariano Kitschker, erneut restauriert 1976 von Klaus Siller und Walter Maschke
Das Bemerkenswerte für mich am Bruchsaler Schloss ist, dass es eigentlich keine nennenswerte Geschichte gibt. Es gibt keine berühmten Bewohner, keine wunderschöne Prinzessin und keinen erfolgreichen Feldherrn. Weder leidenschaftliche Liebesaffären noch spektakuläre Räuberpistolen, nicht einmal mit einem Friedensvertrag ist dieses Schloss in die Geschichte eingegangen. Nur der Besuch Mozarts, der als Wunderkind ein Konzert im Schloss gab, hat dankenswerterweise stattgefunden.
Blick auf ein chinoises Motiv an der Rückenlehne einer Sitzbank im Musikzimmer;
Savonnerie hergestellt in der Kurkölnischen Savonneriemanufaktur in Bonn,
zwischen 1758 und 1761
Das Bruchsaler Thema ist allein die Schönheit, und im Besonderen ihr tragisches Ende und ihre Auferstehung. Schloss Bruchsal wurde bei einem Bombenangriff am 1. März 1945 kurze Zeit vor Ende des Zweiten Weltkrieges genauso wie fast die ganze Stadt vollständig zerstört. Der einzige Trost ist, dass einige Tage vor dem Angriff noch Farbaufnahmen der Deckengemälde gemacht werden konnten, so dass eine Rekonstruktion der Prunksäle möglich war.
Blick auf einen Ausschnitt aus der westlichen „himmlischen“ Zone des Kuppelfreskos;
Fresko urspünglich gemalt 1752 von Johannes Zick und Sohn Januarius,
restauriert 1966 von Karl Manninger
Die Geschichte des Wiederaufbaus mit all ihren Facetten und Konzepten und Schwerpunkten hier darzustellen würde den Rahmen eines Artikels sprengen, daher sei an dieser Stelle nur allen Planern, Handwerkern und Künstlern herzlichst gedankt für ihren Fleiß und ihre Mühe, die uns dieses herausragende Stück Kunstgeschichte wiedergegeben hat.
Blick auf Muschelwerk in der Hohlkehle des Kuppelsaals;
ursprünglich geschaffen 1752 von Johann Michael Feuchtmayer dem Jüngeren,
restauriert nach 1960 von Jakob und Josef Schnitzer
Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet die Regenten der geistlichen Territorien im Deutschland des 18. Jahrhunderts zu den potentesten Förderern der Künste zählten. Für Bruchsal gibt es zwei Schlüsselfiguren, denen wir diese Schönheit verdanken, Damian Hugo Philipp von Schönborn-Buchheim, dem Fürstbischof von Speyer, und seinem Nachfolger Franz Christoph von Hutten zum Stolzenberg. Leider ist über die Charaktere der beiden kaum etwas überliefert, aber anhand der erhaltenen Kunstwerke und dokumentierten Architekturen male ich mir aus, dass der eine ein Liebhaber italienischer Grandezza – der andere ein empfindsamer Freund französischer Eleganz war.
Porträt von Franz Christoph von Hutten zum Stolzenberg,
gemalt von Nikolaus Treu, 1763
Damian Hugo gilt als Erbauer des Bruchsaler Schlosses. Er ist bereits ein erfahrener Politiker, Diplomat und Staatsmann, bevor er 1719 durch Vermittlung seines Onkels Lothar Franz, des Kurfürst-Erzbischofs vom Mainz, zum Fürstbischof von Speyer erwählt wurde. Erst danach empfing er am 15. August 1720 die Priesterweihe. Damian Hugo ist bestens vernetzt, seine weitverzweigte Familie verfügt über Kontakte in ganz Europa, drei seiner Brüder werden ebenfalls Bischöfe in Trier und Würzburg. Für die damalige Zeit könnte er als eine Art Globetrotter gelten, er hat weite Teile Europas mit eigen Augen gesehen und längere Aufenthalte in Wien, Italien und den Niederlanden verlebt und viele Einflüsse von dort in Bruchsal umgesetzt.
Blick auf einen Ausschnitt aus dem Kuppelfresko –
Damian Hugo als Erbauer der Residenz
Als er Bischof von Speyer wird, übernimmt er ein im Krieg verwüstetes Land. Sein Fürstbistum liegt am Oberrhein, dem Gebiet, in dem traditionell die Konflikte zwischen Deutschland und Frankreich kriegerisch ausgetragen wurden. Im Spanischen Erbfolgekrieg war sein Bistum stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Residenz in Speyer war abgebrannt und die protestantische Bevölkerung der freien Reichsstadt wollte deren Wiederaufbau und somit einen Bischofssitz in ihren Mauern mit aller Macht verhindern.
Blick auf einen Ausschnitt aus dem Kuppelfresko –
Bischof Konrad I. von Speyer erhält im Jahr 1056 den Königshof
Bruchsal aus der Hand von Kaiser Heinrich III.
Damian Hugo machte aus der Not eine Tugend und folgte der Mode der damaligen Regenten, die engen mittelalterlichen Städte zu verlassen und einen Residenz-Neubau auf der grünen Wiese á la Versailles zu verwirklichen. Diesem Modell folgten auch viele von Damian Hugos Nachbarn, was die hohe Dichte an barocken Schlossanlagen in der Gegend erklärt. So zogen beispielsweise die Kurfürsten von der Pfalz von Heidelberg nach Mannheim und selbst die bescheidenen Markgrafen von Baden-Baden oder Baden-Durlach leisteten sich eine Stadtneugründung mit Residenzneubau in Rastatt bzw. Karlsruhe.
Aufriss der Ostfassaden des Hauptbaus, der Verbindungsbauten
sowie des Kirchen- und Kammerflügels
In Bruchsal fand Damian Hugo den idealen Bauplatz, hier trifft die flache Rheinebene auf die Hügel des Kraichgaus. So hatte seine Residenz Berge im Rücken, die ideale Aussichtspunkte auf die Anlage ermöglichten und eine weite flache Ebene, die wie prädestiniert für die Anlage eines Barockgartens war.
Hauptgeschossgrundriss des Hauptbaus, der Verbindungsbauten
sowie des Kirchen- und Kammerflügels
In seinem vom Krieg gebeutelten Land fand Damian Hugo keine Fachleute, die dieser Bauaufgabe gerecht geworden wären. Doch glücklicherweise verfügte er über ein breites Netzwerk. So stellte sein Onkel seinen Architekten Maximilian von Welsch zur Verfügung und seine Freundin, die Markgräfin Sibylle Augusta von Baden-Baden, schickte ihren erfahrenen Baumeister Rohrer, der die ersten Arbeiten umsetzte. Das Schloss wurde ganz nach der Mode als Dreiflügelanlage, die um einen Ehrenhof gruppiert ist, geplant. Hinzu kamen weitere Gebäude als freistehende Pavillons. Es entstand ein Ensemble mit dem Charakter einer kleinen Stadt.
Übersichtsplan Schloss Bruchsal
Damian Hugo baute als Erstes einen Seitenflügel, um schnell einen Wohnort in der Schlossanlage zu haben und somit den Baufortschritt aus nächster Nähe kontrollieren und leiten zu können. Als Nächstes konzentrierte er sich auf die Schlosskirche. Um die Symmetrie des Ehrenhofes nicht zu stören, wurde die Fassade als spiegelbildliche Kopie des gegenüberliegenden Seitenflügels ausgeführt und ist von außen auf den ersten Blick nicht als Sakralbau zu erkennen. Der Kirchturm ist aus der Achse gerückt und fügt der an sich streng symmetrischen Anlage das Quäntchen Spannung bei, die jegliche Monotonie verhindert.
Blick vom südlichen Ehrenhof auf den Kammerflügel;
Flügel 1723 fertiggestellt
In der Hofkirche konnte sich Damian Hugos Vorliebe für Pracht voll entfalten. Er beauftragte den berühmtesten Freskomaler seiner Generation, Cosmas Damian Asam, mit einem fulminanten Deckengemälde. Die Altäre waren allesamt mit Kunstmarmor verkleidet und reich vergoldet. Damian Hugo ließ auch die Gebeine zweier Märtyrer aus Rom nach Bruchsal bringen, diese Knochen kunstvoll mit Gold und Edelsteinen einfassen und in Vitrinen zu beiden Seiten des Hauptaltars ausstellen.
Blick vom nördlichen Ehrenhof auf den Kirchenflügel;
Flügel 1725 fertiggestellt
Bei aller Sympathie – Damian Hugo war wohl die Sorte Bauherr, den Architekten hassen. Er brachte seine Planer zum Verzweifeln, indem er sich andauernd in die Bauarbeiten einmischte und eigenmächtig Planungsänderungen anordnete. Die folgenreichste Entscheidung Damian Hugos war es, ein zusätzliches Stockwerk für seine Dienerschaft zwischen dem Erdgeschoss und der Beletage seines zentralen Haupttrakts, dem Corps des Logis, einziehen zu lassen.
Blick auf die Südfassade des Hauptbaus
Dies hatte zur Folge, dass das vom nun amtierenden Architekten Anselm Franz von Ritter zu Groenesteyn geplante repräsentative Treppenhaus in einem Dienergeschoss endete. Zu Groenesteyn konnte keine befriedigende Lösung für die Treppe entwerfen und legte seine Arbeiten für Bruchsal nieder. Da er selbst adelig war, konnte er sich diesen Luxus erlauben. Daraufhin gab es über Jahre das oft zitierte “Loch in der Mitte”. Der Bischof musste ein Dienertreppenhaus nutzen, um in seine Beletage zu gelangen.
Blick auf die Dienertreppe im Zwischengeschoss
Einem glücklichen Umstand ist es zu verdanken, dass ein Verwandter Damian Hugos, der Bischof in Würzburg war, einen der genialsten Architekten des 18. Jahrhunderts verpflichtet hatte. So kam Balthasar Neumann nach Bruchsal und entwickelte in dieser besonderen Situation eine der schönsten, wenn nicht sogar die schönste Treppenhauslösung des deutschen Barocks, von der später noch die Rede sein wird.
Blick vom nordöstlichen Fenster des Marmorsaals in den Kuppelsaal und
auf die Haupttreppe; Treppenhaus (Grotte, Treppe, Kuppelsaal) entworfen
von Balthasar Neumann, gebaut 1731 bis 1732
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Wie weit die Anlage zu Lebzeiten Damian Hugos fortgeschritten war können wir nur mutmaßen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er bereits schon damit begonnen hat, die Räume in der Beletage einzurichten, da sich diverse hochbarocke Elemente aus der Zeit Damian Hugos in den Interieurs erhalten haben. Der Bischof war ein ambitionierter Kunstsammler und Auftraggeber. Wenn es darum ging, den höchsten Glanz in sein Schloss zu holen, scheute er keine Mittel. Wir verdanken ihm die wunderbaren Tapisserien, die als das teuerste Ausstattungsgut ihrer Zeit das Rückgrat seiner Schlosseinrichtung bildeten. Damian Hugo war so verliebt in seine Teppiche, dass er sie sogar ins Konklave nach Rom mitnahm.
Ausschnitt aus der Tapisserie „David schickt Botschafter zu Nabal“
aus dem fünfteiligen Zyklus „Die Geschichte von David und Abigail“,
hergestellt vermutlich in Brüssel, 3. Viertel des 16. Jahrhunderts
1743 hält das Rokoko mit dem Nachfolger Damian Hugos, Christoph Franz, Einzug in Bruchsal. Obwohl das Schloss noch nicht in allen Teilen fertig gestellt gewesen sein dürfte, beginnt Christoph Franz mit einer Überformung der Anlage nach seinen Vorstellungen. Christoph Franz hat ein ganz anderes Temperament und verleiht der Schlossanlage mit einem neuen Anstrich in zarten Grau- und Rosatönen geradezu französische Noblesse.
Blick nach Süden in den Marmorsaal;
Saal 1753 bis 1754 umgestaltet im Stil des Rokokos
Auch er beschäftigt Balthasar Neumann und dieser vermittelt auch zahlreiche Handwerker, die beim Bau der Würzburger Residenz mitgewirkt haben, nach Bruchsal. Allen voran sind Johannes Zick und sein Sohn Januarius zu nennen, die bedeutendsten deutschen Freskomaler ihrer Zeit. Vater Zick hat in Würzburg mit Tiepolo konkurriert und sich viel von seinem italienischen Kontrahenten abgeguckt. Geschult an den alten niederländischen Meistern vereint er in seinem Schaffen das Beste aus nord- und südalpinen Traditionen.
Blick auf die südliche Supraporte „Kinder mit Blumen“ im Schlafzimmer
der Markgräfin Amalie, gemalt von Johannes Zick, um 1756-1758
Sein Sohn Januarius fertigte für Bruchsal zahlreiche Tafelbilder und Supraporten, die heute noch zu den Prunkstücken der Beletage zählen.
Blick auf die östliche Supraporte „Die Erhebung des Herakles in den Olymp“
im Roten Zimmer, gemalt von Januarius Zick, um 1765/66
Die kongenialen Pendants zur Malerei bildeten der Stuckateur Johann Michael Feuchtmayer der Jüngere und der wohl bedeutendste “Zierraten”-Schnitzer seiner Zeit, Ferdinand Hundt. Beim Betrachten der historischen Aufnahmen bin ich immer wieder von der Qualität der Ausstattung überwältigt.
Blick von der Tür zum Altan des Marmorsaals nach Osten und nach oben;
Stuckaturen ursprünglich geschaffen 1753/54 von Johann Michael Feuchtmayer,
restauriert ab 1965 von Jakob und Josef Schnitzer
Es ist doch erstaunlich, dass ein kleiner Territorialfürst eine dermaßen exquisite Inneneinrichtung bewohnte, wie sie weder seinen Nachbarn und sogar selbst dem Kaiser in Wien nicht zur Verfügung standen. Nicht einmal die Künstler Friederichs II. haben in den Potsdamer Schlössern etwas annähernd Qualitätvolles erreicht.
Blick auf den Thronsessel im Thronsaal;
geschnitzt von Ferdinand Hundt, um 1752-1758
Die Einmaligkeit beginnt schon mit den Fassaden des Schlosses, deren Pracht und Farbenreichtum so gar nicht europäisch anmuten will und eher an einen chinesischen Palast erinnert. Betritt man das Schloss durch einen überdachten und von Säulen gerahmten Haupteingang, ist man sogleich in eine ganz andere Welt eingetaucht. In der festlich geschmückten Eingangshalle, Intrada genannt, wird die wahrlich theaterhafte Inszenierung des Raums verstärkt.
Blick von Osten auf die Intrada mit der Scheinarchitektur
sowie der Treppe von Balthasar Neumann;
Malereien ursprünglich erstellt 1733 von Giovanni Francesco Marchini,
restauriert 1989 bis 1991 von Hermenegild Peiker
Balthasar Neumanns berühmtes Treppenhaus tritt dem Besucher wie selbstverständlich entgegen und lässt nicht erkennen, dass es aus der Not entstanden ist. Auf ovalem Grundriss schwingen sich die beiden Treppenläufe empor und geben den Blick nach unten in eine Grotte frei. Die Dekorationen im Erdgeschoss geben irdische Motive wieder. Der barocken Lust am Vergänglichen verdanken wir die Ausmalung der Grotte als verfallene antike Architektur. Alles ist satt, dunkel und in kräftigen Farben gehalten – ein dreidimensionales Memento mori.
Blick von Norden auf den südlichen Teil der Grotte;
Malereien ursprünglich erstellt 1735 von Giovanni Francesco Marchini,
restauriert 1971 bis 1980 von Manfred Leitenmeier
Steigt man die Treppe empor, wird man quasi hochgehoben – von allem Irdischen entzogen – das Treppenhaus wird von den seitlichen Lichthöfen und von oben erhellt. Man gelangt in eine großen mit einer ausgemalten Kuppel bekrönten Rotunde – einer himmlischen Sphäre gleich, in der als neuer Göttervater Jupiter der Bischof in seinem barocken Olymp residiert. Grotte, Treppe und Kuppelsaal bilden so eine gestalterische Einheit – sie ist in dieser Konstellation einzigartig!
Blick vom Marmorsaal in den Kuppelsaal
Als Kind war ich sehr enttäuschst, dass kein Bischof mehr da ist, der diesen Rahmen für einen glanzvollen Auftritt nutzt. Stolz und würdevoll, in sattem Kardinalspurpur gekleidet, diamantengeschmückt zur Begrüßungszeremonie entgegen schreitend. Die weißen Wände der Treppenhalle sind zurückhaltender nur mit eleganten Pilastern dekoriert, die nicht von dem grandiosen Deckengemälde von Johann Zick ablenken wollen. Wie eine Brücke verbindet dieser Saal zugleich die beiden Festsäle, den Fürsten– und den Marmorsaal.
Blick von der Mitte der südlichen Haupttreppe nach oben und nach Norden in die Kuppel;
Deckenfresko urspünglich gemalt 1752 von Johannes Zick und Sohn Januarius,
restauriert 1966 von Karl Manninger
Auch wenn man es kaum für möglich hält, wird diese Pracht im benachbarten Marmorsaal noch gesteigert. Hier sind die Wände reich mit Stuckmarmor und Gold verziert und mit prächtigen Dreiviertelsäulen besetzt. Das Gesims löst sich auf und geht scheinbar nahtlos in die Deckenmalerei über. Zahllose Götter und andere Figuren bevölkern die Decke. Immer wieder versuchen sie, die Zeit anzuhalten: Das Fürstbistum Speyer soll ewig fortbestehen, ist ihre Botschaft.
Blick nach Norden und nach oben auf Figuren des Marmorsaals;
Deckenfresko ursprünglich 1754 gemalt von Johannes Zick,
restauriert 1969 bis 1974 von Wolfram Köberl
Doch hatte dieser fromme Wunsch keinen langen Bestand. Schon 1810 löste Napoleon das Bistum auf. Das Schloss fiel an das Haus Baden und wurde zeitweilig als Witwensitz genutzt, stand aber im 19. Jahrhundert die meiste Zeit leer. Sein wertvolles Inventar wurde in andere Residenzen verbracht.
Blick nach Osten in das Schlafzimmer der Markgräfin Amalie
1995 versteigerten die Markgrafen von Baden bei Sotheby’s ihren Besitz, darunter auch viele Bruchsaler Stücke. Diese waren – wen wundert es – mit die wertvollsten Objekte der Auktion, darunter auch einmalige Roentgenmöbel, Flämische Tapisserien und sogar marmorne Tabakdosen aus ehemaligem bischöflichem Besitz. Ich bin kein neidischer Mensch, aber all die Glücklichen, die jetzt auf Bruchsaler Stühlen sitzen und auf Bruchsaler Gemälde schauen, beneide ich tatsächlich.
Ausschnitt aus der Tapisserie „Elefantentreiber“ aus der „Groteskenserie“;
hergestellt in der Werkstatt von Philippe Behagle (Vater oder Sohn)
in Beauvais, zwischen 1685 und 1719
Als Junge war ich allein schon von der Größe der Beletage fasziniert. Bekanntlich hat ein Bischof weder Frau noch Kinder, zumindest nicht offiziell. Aber für einen Single-Haushalt gibt es einfach zu viele Räume. Um deren Masse unterscheiden zu können, bediente man sich sogar Notnamen, so wurden einige Räume nach der Farbe ihrer Wandbespannungen gelbes, blaues, oder grünes Zimmer genannt. Streng genommen gibt es sogar fast alle Räume doppelt.
Blick nach Norden in das Rote Zimmer und den Durchgang zum Gelben Zimmer
Erst später habe ich begriffen, dass die Fläche in zwei Apartments mit Repräsentationsräumen, dem “appartement de parade”, und daran anschließend je eine Suite für Gesellschaften, dem “appartement de societé” aufgeteilt war. Eine Hälfte war dem Bischof und die zweite seinen Gästen vorbehalten. Bis auf die Schlafzimmer handelte sich um eine Kette von Räumen, die in ihrer Nutzung offen waren und je nach Bedarf zum Tafeln, Musizieren oder für Audienzen genutzt werden konnten.
Blick vom Durchgang zum Marmorsaal nach Norden
in das Jagdzimmer und das Musikzimmer
Ob die Bischöfe das große französische Hofzeremoniell abgehalten haben, wissen wir nicht, den passenden räumlichen Rahmen dafür hätten sie aber auf jeden Fall gehabt. Wahrscheinlich wird der Bischof auch eine Kunstkammer, eine Bibliothek oder einen Raum für seine Porzellansammlung besessen haben, aber welcher Raum dafür genutzt wurde, kann man heute nicht mehr rekonstruieren.
Blick nach Süden in den Thronsaal, auf Tapisserien der Serie
„Berühmte Männer nach Plutarch“ sowie auf das Thronensemble;
Tapisserien entstanden um 1735/45, Thronsessel um 1752/58
Verloren ist die elegante wandfeste Ausstattung dieser Räume, die für Franz Christoph von Hutten von namhaften Künstlern geschaffen wurde. Heute ist in diesen Räumen ein kleines aber feines Schlossmuseum zu besichtigen, das das gerettete Inventar, darunter eine der größten Wandteppich-Sammlungen Deutschlands, am originalen Standort zeigt.
Ausschnitt aus der Tapisserie „Esther von Ahasver zu königlichen Ehren erhoben“
aus der sechsteiligen Folge mit Szenen aus dem Alten Testament;
hergestellt von Martin II Reymbouts in Brüssel, um 1600
Herausragend und wahre Wunderwerke sind auch die hier ausgestellten Möbel Ferdinands Hundts. Die von ihm für Schloss Bruchsal entworfenen Ornamente besitzen aber auf Grund der feingliedrigen, variablen und bis in kleinste Details verspielten Ausführung eine einzigartige Qualität, die ansonsten so kaum zu finden ist. Diese Qualität schätzten auch Yves Saint Laurent und Pierre Bergé. Sie besaßen zwei Konsoltische von Ferdinand Hundt, die aus der Auktion ihrer Sammlung für Bruchsal zurückerworben werden konnten. Das waren bestimmt nicht die letzten Bruchsaler Mobilien in Privatbesitz, daher dürfen wir gespannt sein, welche Schätze noch in Zukunft ihren Weg zurück ins Schloss finden werden.
Blick auf den westlichen Konsoltisch im Roten Zimmer,
hergestellt von Ferdinand Hundt, zwischen 1755 und 1760
Durch das Zusammenspiel von originalem Inventar und rekonstruierter Pracht ist das Bruchsaler Schloss ein bezaubernder Ort, um sich ungestört ins 18. Jahrhundert zurück zu träumen. Es ist ein Puzzle, das nur der Kenner und Liebhaber des Schönen lösen kann. Für mich es ein Spielplatz meiner Phantasie geblieben, auch wenn ich mir nicht mehr wie als Kind die Nase an der Fensterscheibe plattdrücke.
Blick von der Hauptachse des Schlossgartens auf die Westfassade des Hauptbaus
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Weblinks
- Fürstbischöfe (chronologisch geordnet)
- Architekten, Bau- und Werkmeister (chronologisch geordnet)
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- Walter Maschke (1913–2007): Kunstmaler und Restaurator
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- Lothar Ignaz Schweickart (1702-1779)
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- Christoph Treu (1739-1799): Wikipedia
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- Joachim Günther (1720-1789): Wikipedia
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- Hans Volker Dursy (1925-1991): Bildhauer und Restaurator
- Josef Mariano Kitschker (1879-1929): Josef Mariano Kitschker (Wikipedia)
- Alfred Panowsky: Kunstmaler und Restaurator
- Jakob Schnitzer: Stuckateur, älterer Bruder von Josef Schnitzer
- Josef Schnitzer(1915-1984): Stuckateur, Josef Schnitzer junior (Wikipedia)
- Klaus Siller (1925-2016): Kunstmaler und Restaurator
- Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg
- Wikipedia / Bruchsal.de / DerBruchsaler.de / Bruchsal.org
- Schloss Bruchsal, Hofkirche Bruchsal, St. Peter Bruchsal, Belvedere Bruchsal, Eremitage Waghäusel
- Deutsches Musikautomaten-Museum (im Schloss Bruchsal), Städtisches Museum (im Schloss Bruchsal)
- Stadt Bruchsal (Wikipedia), Stadt Bruchsal (Bruchsal.de)
- Luftangriff auf Bruchsal (Wikipedia), Zur Geschichte der Stadt Bruchsal (DerBruchsaler.de)
- Barock, Rokoko, Empire
- Weitere Websites
Siehe auch
- Startseite: Monumente im Bild
- Bruchsal, Hauptseite: Schloss Bruchsal
- Impressionen:
- Essay “Mein Bruchsaler Schloss”
- Beschreibung von Schloss und Garten
- Bilder aller Tapisserien
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- Überblick zum Schloss und zur Geschichte
- Assoziierte Bauten und Museen
- Bruchsal: Städtisches Museum, Belvedere, St. Peter
- Waghäusel: Eremitage, Wallfahrtskirche
- Bad Mingolsheim: Schloss Kislau
- Schwetzingen, Hauptseite: Schloss und Schlossgarten Schwetzingen
- Impressionen:
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- Beschreibung von Barock- und Landschaftsgärten
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- Bilder aller Gemälde (Mittelbau & Parkbauten)
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